„ICH LEBE NOCH UM AUSZUSTELLEN

 

O.T. (what happens, stays), 2015, 40x40
O.T. (what happens, stays), 2015, 40×40

Wenn es um die gegenwärtige Fortsetzung abstrakter Malerei geht, darf Fabian Treiber (*1986) als ein Tüftler der jüngsten Stunde bezeichnet werden. Täglich werden in seinem Atelier technische Möglichkeiten mit Farbe und Trägerschaft ausgelotet und in souveräne kompositorische Experimente transportiert. Dennoch greift das Attribut „abstrakt“ nicht gänzlich. Das Auge des Betrachters folgt bereits den Bildern immanenten Fährten. Bald schon mutieren Konturen und Flächen zu Objekten, während simultan die augenscheinlich formale Lesart von sublimen erzählerischen Strukturen übertüncht wird.

Dave Bopp, Zürich 2015 Beitrag anlässlich der Ausstellung „Ich lebe noch um auszustellen“ Fliedner Stiftung, Stuttgart

 
EINFÜHRUNG ANLÄSSLICH DER VERLEIHUNG DES WALTER STÖHRER PREIS FÜR GRAFIK
 

[…]Spricht man von einem Preis für Grafik, so stellen die Arbeiten von Fabian Treiber sicher die größte Überraschung im Rahmen der Ausstellung dar. Und würde man bei den traditionellen Spartenbezeichnungen bleiben wollen, so müsste man wohl sagen, dass Fabian Treiber ein Maler ist – wie Walter Stöhrer eben auch ein Maler war. Und doch sind grafische, zeichnerische Elemente immer wieder immanenter Teil dieser Malerei. Nimmt man den Titel der hier gezeigten Wandinstallation „Tracks“ wörtlich: einer Malerei, die einer Spurensuche gleicht.Fabian Treiber präsentiert die Platten, auf denen er malt, zeichnet oder im besten Sinn: arbeitet, also Hochdichtfaserplatten, Holzplatten und Pappen beispielsweise, nicht in Rahmen oder an Nägeln hängend, sondern an die Wand gelehnt und auf modularen Winkelsystemen oder direkt auf dem Boden stehend. Diese Art der Präsentation, die die einzelne Arbeit zu einer Art Objekt und darüber hinaus zum Teil einer Gesamtinstallation werden lässt, ist typisch für ihn. Und über das System der Präsentation wird schnell klar, dass auch der Betrachter dadurch in eine andere Rolle versetzt wird, dass er zum Partner wird, der Arbeiten versetzen, austauschen, in der Holzkiste verstauen oder aus ihr heraus neu präsentieren kann.

Ohne Titel (Tracks), 2014, 22x14 cm
Ohne Titel (Tracks), 2014, 22×14 cm

 

Auch wenn der Zufall dabei eine wichtige Rolle spielt, werden Präzision und Provisorium aufs Genaueste austariert. Kontrolle und Kontrolllosigkeit – der Grat dazwischen ist schmal, aber genau darauf balanciert der Grenzgänger Fabian Treiber, der zunächst bei Reto Boller Malerei studiert hat und den Schnittpunkt zu anderen künstlerischen Medien im Raum für sich sucht.

Insofern folgt auch seine Arbeitsmethode auf den Platten, Papieren – kurz: auf den unterschiedlichsten Materialien – einem dialogischen Prinzip. Farbe wird beispielsweise aufgetragen, abgeschliffen, übermalt, mit Papieren scherenschnittartig überzogen, die später wieder abgenommen werden, dabei ihre Silhouette zurücklassen. Zufälligkeiten, wie Craquelé-Risse, die Farbschichten nach eigenen Gesetzen aufbrechen, werden zugelassen und aufgegriffen. Ähnlich ist der Umgang mit Lineaturen und Schnitten in Pressspanresten, die Fabian Treiber findet. Oft sind deren Ränder brüchig, wirken die Platten wie Fragmente – und doch steht das einzelne Teil schließlich für ein Ganzes. Es sind diese Pressspan-Arbeiten, die aufgrund der meist linear geprägten Komposition möglicherweise am ehesten in die Kategorie der Grafik passen, weil sie an Zeichnung denken lassen. Aber spielt das letztlich eine Rolle? Welche der in die Oberfläche geschnittenen Linien geplant und welche bereits da waren – weil etwas, das drauf stand, möglicherweise einen Abdruck hinterlassen hat – kann der Betrachter nicht mehr nachvollziehen. Fabian Treiber nimmt diese Spuren als wahrlich bruchstückhafte Berichte, die von der Geschichte dieser Objekte erzählen können, und führt sie weiter.[…]

Auszug aus der Rede von Petra von Olschowski vom 16.12.2014. Die Rede wurde anlässlich der Ausstellungseröffnung der Preisträger in der Galerie Friese in Stuttgart gehalten.

 

ZU DEN ARBEITEN VON FABIAN TREIBER

 

Baumeisters Suche nach dem „Unbekannten“, bei welcher das angestrebte Ziel ausschliesslich als Methode in der Formfindung einer autonomen Bildwelt seine Berechtigung hat, ist eine Voraussetzung für die Arbeit Fabian Tim Treibers. Ebenso unabdingbar sind jedoch gleichzeitig gegenständlich aufgeladene Bildwirklichkeiten. In diesem Zwischenbereich finden seine malerischen Recherchen statt.

Mittels Schablone und Lackspray rhythmisiert Treiber das Format. Sich wiederholende Elemente werden so lange geschichtet, bis die entstandenen Verdichtungen ein direktes Erkennen von formalen Doppelungen verzögert. Vielleicht ist diese Zeitlücke notwendig, um als Betrachter die in all seinen Werken vorkommenden ausserbildnerischen Referenzen zu erkennen. Es entstehen Bildräume, welche im nächsten Augenblick des Sehens aufgehoben, bisweilen negiert werden. Mit der realen Dingwelt entnommenen Versatzstücken wird eine selbstbezügliche Privatsprachlichkeit umgangen. In anderen Werken wird dem geplanten Bildaufbau noch vehementer ein Verfahren des Unkontrollierten und Zugefallenen entgegengesetzt. Transformationsprozesse vermeidend sucht Treiber unmittelbar im Vorgang des Malens nach Hinweisen, aufgrund welcher Richtungswechsel passieren können. Biografisch Anekdotisches, rein Subjektives, welches zuweilen als Impulsgeber seiner Malerei dient, entfernt er so weit von dessen Herkunft, dass dieses nicht mehr Thema ist.

Sich zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit bewegend erfindet Treiber Bildwelten, von denen er nicht erzählt, die jedoch als autonome Malerei an sich zu erfahren sind. Die geformten Farben sind keine Illustration dieser offenen Haltung, sie sprechen vielmehr von einer ernsthaften Suche nach unbetretenem Terrain. Mit dieser Herangehensweise, geprägt von Intuition und Erfahrung, gelingt es Treiber Bilder eher zu finden als zu schaffen. Dass er dabei Risiken eingeht und sich nicht scheut, Behauptungen aufzustellen, ist ein Gewinn für seine Malerei.

Reto Boller, Zürich 2012

 
  
 

 

BLUE BEACH PINK LOVE PALE COBRA

Es gab eine Zeit, da war die Farbe im Fernsehen oder ein scharfes Bild einer Kamera eine Innovation. Schneller als der sich selbst „modern“ taufende Mensch sich umsehen konnte, reden wir heute von HD (High Definition), 4K und mehreren Millionen Megapixeln wenn wir von unseren Möglichkeiten der (audio-) visuellen Darstellung sprechen. Jetzt noch etwas „analog“ aufzunehmen, das klingt für manche wie seine Tinte selbst herstellen. Schon lange versuchen Medienmacher und Technokraten neben den genaueren Darstellungsmöglichkeiten nicht nur unser Sehen und Hören zu bemühen, sondern uns räumlich und senso-motorisch an unserer gelebten Wahrnehmung teilhaben zu lassen. Virtual Reality, oder der Versuch die Grenze zwischen uns und dem Proxy-Ereignis zu sprengen, dreidimensional zu machen was bis jetzt immer nur zweidimensional geschieht. Doch was bringt dieser Fortschritt für unsere Sinnlichkeit? Eine Bewegung in eine immer detailreichere Welt oder Blendung von zu viel Licht? Eine Frage die man sich stellen sollte wenn die 3D Brille drückt oder die eigene Reflexion im HD Fernseher kurz auftaucht: Bin ich wirklich schon so stumpf, dass alle Immersion an mich herangetragen werden muss?

 
 
Ohne Titel, 2014, 40x30
Ohne Titel, 2014, 40×30
 
Steht man vor einem Werk Fabian Treibers (*1986) fühlt man regelrecht wie jede einzelne Schicht zusammenschwingt, den Blick bannt und ihn zwischen die Formen und Farben zieht; eine abstrakte Reise vor einem Gegenstand der nicht leuchtet oder „1080P“ aufweist, ganz analog im Hier und Jetzt – Real.
Treibers neuste Werke sind vielleicht sogar eine Absage gegen alle technische Genauigkeit und Akribie. Wäre Konstruktion das Wort für die präzisen, weitsichtigen geometrischen Gebilde Treibers, die er selbst unter einer „technoiden Ästhetik“ sah, kann nun von organischem Wachstum gesprochen werden. Die Dreiecke und Winkel sind völlig Verschwunden, der Kreis und der Kleks dominant und gerade Linien oder spitze Winkel nur noch als Kratzer zu erkennen. Wie bei einer Pflanze verästeln sich die weichen Formen, umschließen einander und blühen im Betrachter auf. Das Auge spürt regelrecht jede Textur der einzelnen Elemente, deren Individualität als Zelle des Gesamtbildes und erahnt trotzdem die inhärente Struktur die diesem zugrunde liegt. Es ahnt dass es schon verstanden hat, ohne dabei die Wahrnehmung eingestellt zu haben. Denn so wie Treiber oft den perfekten Kreis in seinen Bildern einsetzt, ist die menschliche Errungenschaft die durch Mathematik und Technik erbracht wurde nicht die Abstraktion der Welt in Zahlen und geometrischen Formen, sondern es ist die Annährung an die Wertigkeit des natürlichen Kreises, seine Einfachheit und seine Realität. Damit können wir uns von HD (High Definition) und VR (Virtual Reality) abwenden und dem Kopfkino, dem mentalen Spiel von Darstellung und Idee, der Realität und Imagination vor den Bildern Fabian Treibers mit wachem Auge beiwohnen. 
 
Jayanthan Sriram, Strzelski Galerie, Stuttgart 2014

 

 

VON FUNKEN UND SPUREN UND DEM, WAS MAN SIEHT

Man kann sehr wohl an diesen kleinen gelbgrünen Farbwürsten der Arbeit o.T. (Tracks) Gefallen finden: Wie sie sich – mal zart krümmend, mal dick und nass glänzend – um ihre eigene Achse drehen oder durch ein unregelmäßiges Auftragen sich zuerst prall dann schmierig auslaufend darbieten. Man kann den Drang verspüren, diese glatte, frisch anmutende Farbmasse berühren zu wollen; sie auf dem Holzstück zu verstreichen, um dem porös erscheinendem Untergrund entgegenzuwirken. Man kann dann durchaus auch diesen sich wurmhaft schlängelnden Wülsten eine gewisse Komik beimessen: sich windend auf einem rauen, nicht so recht behagenden Untergrund. Ob diese Beobachtung nun in eine Assoziationskette mündet, ist natürlich nicht vorgeschrieben. Und ebenso wenig, ob das Auge mit Freude den Kontrast des speckig glänzenden Ultramarinblau oder Gelbgrün zu der matt aufgerauten Oberfläche der Platte verfolgt oder von dieser Entdeckung unberührt bleibt. Frank Stellas „What you see is what you see“ impliziert nämlich immer auch ein „What you see is what you see only when you allow yourself to (just) see“[1] und ist gerade deshalb für Fabian Treibers Arbeit Voraussetzung.

 

In einer weiteren unbetitelten Arbeit aus der Serie Tracks ist genau dies zu beobachten: Was man sieht kann erst dann als solches wertgeschätzt werden, wenn man sich darauf einlässt, zu sehen, was zu sehen ist.

Das unwiderstehliche Schwarz dieses gängigen Hochformats macht es natürlich schwer, an der Arbeit spurlos vorbeizugehen. Daran also hängen bleibend, erkennt der Betrachter eine aus zwei Teilen bestehende Komposition: Der untere Teil nimmt mehr als die Hälfte der Fläche ein und setzt sich mit seinen unregelmäßigen Formen, nervösen Linien und unterschiedlichen Schwarztönen gegen das eintönig matte Schwarz des oberen ab. Diese Aufteilung suggeriert dadurch eine scheinbar eindeutige, dem Auge bekannte Lesart von Vorder- und Hintergrund. Und genau dann, wenn man sich entschließt, diese Arbeit trotz oder gerade wegen oft gesehenem Bildaufbau und dementsprechenden Assoziationen weiter zu beäugen, stößt man auf eine Entdeckung, die einem zunächst banal vorkommt. Denn die knittrigen Auswölbungen des Papiers und dessen ausgefranste Ränder, aber vor allem die Abrisskante geben die alltägliche Quelle der Komposition preis: Ein handelsüblicher, nach der Bearbeitung schwarz eingefärbter Zeichenblock.

Von eben dieser Sollbruchstelle des Papiers ausgehend ist nun klar, wie sich die Reste mehrerer abgerissener Zeichenpapiere staffeln und überlagern; warum deren Ränder mal mehr und mal weniger hell sind; und dass die automatische Einteilung in Vorder- und Hintergrund von einer tatsächlichen – durch genau diese Abrisskante bedingte – Räumlichkeit herrührt.

 OT_105_Fabian_Treiber2014689_Tracks

 

Man könnte meinen, die Arbeit verliere durch die Nachvollziehbarkeit der Arbeitsspuren ihren Reiz. Und zu einem gewissen Grad wird sie dadurch auch enträtselt – allerdings nur in der Hinsicht, dass ihre Herstellung kein Geheimnis mehr birgt: „What you see“ ist eben „what you see“.

Aber eben doch nicht ganz im Sinne Stellas, dessen minimalistisches Credo weder Illusion noch Andeutungen auf Gegenständlichkeit zulässt:[2] Gerade weil nämlich Fabian Treiber diese Andeutungen macht – und zwar offensichtlich rein zufällig, klar nachvollziehbar und ohne Trick oder doppelten Boden – wird das „what you see“ zu mehr als „what you see“. Dabei verleugnet es jedoch nicht, dass es ist, was es ist: Ein aufmerksamer, sehen wollender Betrachter erweitert hier Stellas „what you see is what you see“ um ein „and what you allow yourself to see“. Die suggerierte Gegenständlichkeit tilgt also keineswegs Stellas sachliches „what you see“: Beides koexistiert und bedingt sich zugleich.

 

Und genau darin liegt das Potenzial eines neuen Sehens, des neuen Reizes, einer Spur: Gibt nämlich der Arbeitsprozess keine Rätsel mehr auf, stellt sich nun die Frage, wie eine so einleuchtende, banal erscheinende Herstellung diese Fülle an Ausdrucksmöglichkeiten ergeben kann; ob das dramatische Hell-Dunkel wirklich bloß von ein paar Knicken im Papier stammt; und ob die matte Oberfläche der Papierreste lediglich durch einige sanfte Wölbungen diese seidige Anmutung erfährt. Der Reiz ergibt sich also daraus, dass wir die Antworten wohl wissen (da die augenscheinlichen Beweise vor uns liegen), ihnen aber nicht so ganz trauen wollen. Ständig versuchen wir uns zu vergewissern: „what you see“ ist wirklich „what you see“. Dass man neben dieser Hinterfragung der Formensprache und der materiellen Beschaffenheit der Oberfläche auch noch sämtliche assoziativen Vermutungen anstellt (die freilich von der gängigen Bildeinteilung und genau diesen Begebenheiten herrühren), ist zusätzlich irritierend und gleichzeitig bereichernd. Schließlich wissen wir ja, dass es ein schwarz eingefärbter Zeichenblock mit abgerissenem Papier ist, der hier zu mehr fähig scheint, als wir vermuten wollen.

Doch ausgerechnet durch diese Diskrepanz zwischen Machart und möglichem Ausdruck gewinnt die Arbeit, weil sie somit weder banales Alltagsstück, noch unentschlüsselbares Rätsel bleibt. Sie birgt zwar – gemäß ihrem Titel – Spuren von dem einem sowie dem anderen, lässt aber gerade durch deren Balance den Betrachter selbst frei zur Entscheidung, welcher Spur er nachgehen möchte oder ob er mit Hilfe dieser Spuren noch eine andere verfolgen kann.

 

Jedenfalls ist diese Entscheidungsfreiheit für den Betrachter der Offenheit geschuldet, mit der Fabian Treiber selbst Arbeiten herstellt. Und daran, dass man an ihr so anschaulich Teil haben darf. Denn seine Arbeitsweise, die sowohl das Spontan-Zufällige als auch das absolut Kontrollierte zulässt, kommt dem Betrachter durchaus entgegen, weil sich Ersteres nicht als Willkür und Letzteres nicht als Eigensinn entpuppt. Indem sich beides die Waage hält, kann nämlich genau das entstehen, was André Breton als Potenzial einer solchen Arbeitsweise herausstellt: “Die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.”[3]

Fabian Treiber nennt diesen „Funken Poesie“ in seiner jüngsten Serie Spuren (Tracks) und versachlicht damit den Anspruch der Surrealisten, das Unbewusste und Traumhafte für neue Erkenntnisse heraufzubeschwören.[4]

 

Dass zusätzlich die Spuren des Arbeitsprozesses, die zu diesem Funken führen, in Treibers Arbeiten immer deutlicher nachvollziehbar sind, hat natürlich auch damit zu tun, dass er seinen Betrachter noch mehr integrieren möchte. Gerade diese kleinen, spontan entstandenen Arbeiten, die teilweise das Vorgefundene einbeziehen, zeugen doch davon, dass man dem scheinbar Banalem durchaus Platz einräumen darf, um darin das, was „überspringt“, finden zu können. Mit ihrem unscheinbaren Auftreten geben die Tracks regelrecht Mut, wülstige Farbwürste auf kleinen, abgeschmirgelten Holzplatten ebenso wertzuschätzen wie den Kontrast von klebrig-glänzendem Transparentlack zu Überresten von matten, pastellfarbenen Punkten. Da sie selbst Mut haben, diese Wertschätzung bis hin zu abgerissenem, schon verwendetem Malerkrepp oder irisierenden Glitzerflächen zu treiben, bleibt der Betrachter bei Treibers eigenem Spurenlegen nicht außen vor.

Und mehr noch. Die Tracks machen ihm zudem Mut, jene Wertschätzung zu übertragen und die Assoziation mit dem Gegenständlichen zuzulassen, die von diesem einfachen „what you see is what you see“ herrühren. Auf diese Weise mündet das Gefallenfinden am scheinbar Belanglosen und vermeintlich Entzauberten in einen neuen Reiz, dem man nun auf der Spur ist.

 

Dementsprechend kann auch selbst die kleinste, zunächst als unwichtig abgetane Entdeckung die Verbindung zwischen dem „what you see“ und dem „and what you allow yourself to see“ herleiten: Beispielsweise nimmt die Masse aus unterschiedlichen Materialien am oberen Rand einer anderen Arbeit aus der Serie Tracks zwar nur einen sehr geringen Teil der Komposition ein, verrät aber gleichzeitig viel über deren Zustandekommen: Eine bis auf drei Kreise mit Epoxidharz eingefärbte Glasplatte liegt derart auf einem Stück Karton auf, dass die dazwischen befindlichen Farbmassen gemischt mit Resten von Aluminiumfolie, Papier und Malerkrepp herausgequetscht werden. Die Zufälligkeit der dadurch entstehenden Material- und Farbkomposition wird als logisch und nachvollziehbar empfunden und lässt mit Freude ähnliche Spuren dieser Zufälligkeit in anderen Arbeiten wieder entdecken. So findet man die teilweise raue, teilweise ölig glänzende Anmutung des Epoxidharz in der unterschiedlichen Oberflächenbehandlung der schwarzen Flecken in Capri wieder. Solche aus den Tracks gewonnenen kleinen Entdeckungen tun sich in Treibers Arbeiten auf Leinwand mit sauber-kantigen, aber eben auch zufällig entstandenen Formen mit zerklüfteten Rändern und unebenen Strukturen zusammen. In Capri kann somit ein Riss in einer grauen Form – die Spur eines schnellen Arbeitens – eine Verletzung der Oberflächenstruktur bleiben; oder aber durch das offengelegte Ocker des Risses zusammen mit dem pastosen Grau der amorphen Form sämtliche assoziative Verbindungen zum Gegenständlichen wecken. Nicht zuletzt durch den Titel.

O.T.(Tracks), 2015, 24x18
O.T.(Tracks), 2015, 24×18

 

Das Wiedererkennen der von den Tracks vorgegebenen Spuren macht uns demnach auch in großformatigen Arbeiten wie Capri mutig, in den Formkonstellationen neben ihrer formalen Darbietung auch Gegenständliches sehen zu dürfen. Treibers Spuren gleichen also nicht zuletzt auch deshalb Bretons „Funken Poesie“, weil sich zwei „wesensfremde Realitäten“ –  Stellas faktisches „what you see is what you see“ und die mögliche Andeutung an das Gegenständliche in „and what you allow yourself to see“ – so „annähern“, dass der „Funke … überspringt“: ob man darin Poesie sehen möchte oder nicht.

 

 Nicola Höllwarth, Im August 2014

[1]     Vgl. hierzu Aaron Davis, „’What you see is what you see‘: Constructing the Subject-Object“, in: Art & Education, 2009, online: http://www.artandeducation.net/paper/what-you-see-is-what-you-see-constructing-the-subject-object/, abgerufen am 6. 9. 2014.

[2]     Vgl. Ebd.

 

[3]     zitiert in Uwe M. Schneede, Die Kunst des Surrealismus: Malerei, Skulptur, Dichtung, Fotografie, Film, München 2006, S. 37.

[4]     Vgl. Ebd., S. 44 ff.

 

 

 

ER LÄSST SICH VON SEINEN BILDERN ÜBERRASCHEN

Fabian Treiber zeigt im Schloss Dagstuhl seine Werke in der Ausstellung „Neun Minuten vor Vegas“

 

Seit Montag läuft im Schloss Dagstuhl – Leibniz-Zentrum für Informatik die Ausstellung „Neun Minuten vor Vegas“ mit Arbeiten des Malers Fabian Treiber. Während der Vernissage verriet er im Gespräch mit dem wissenschaftlichen Direktor des Zentrums, Professor Reinhard Wilhelm, dass er während der Arbeit an seinen Bildern vor allem auf die eigenen Überraschungsmomente setzt, die er bewusst provoziert. 

Dagstuhl. „Ich kenne mein Material und ich kenne die Vorgänge, die sich daraus ergeben. Aber ich baue immer wieder etwas ein, das ich im Endergebnis nicht vorhersagen kann“, erklärt Fabian Treiber. Er sieht sich dabei weniger als Regisseur, denn als Werkzeug. Wobei die Überraschung, die kalkulierte Ungewissheit sein erstrebenswerter Zustand ist. „Jedes Bild entsteht so aus sich selbst heraus. Ich stoße die Vorgänge an, wähle Farben aus und komme über die verschiedenen Mechanismen immer einen Schritt weiter. Dabei suche ich den überraschenden Punkt, wenn Abstraktion aus der Abstraktion entsteht“, betont Treiber.

Diese Freiheit, die er sich selbst lässt in den Überraschungsmomenten seiner Arbeit, die möchte er auch den Betrachtern seiner Bilder lassen. Er will alles nicht zu sehr steuern, möchte offen lassen, was der Einzelne in seinen Arbeiten findet. Dabei sind für ihn gerade die Titel seiner Bilder die eigentliche Quintessenz. Es sei genau die Kunst, die Titel so zu wählen, dass man sich nicht zu sehr festlegt. Es können kleine, leichte Andeutungen oder Wegweiser sein, aber im Grunde will Fabian Treiber nicht vorweg greifen oder in eine feste Denkrichtung oder einen festgelegten Denkansatz lenken. Deshalb sind die Titel seiner in Dagstuhl ausgestellten, aktuellen Arbeiten großenteils genauso abstrakt wie seine Bilder. „Titan Bone“ oder „Madrid and olive together“ weisen etwa nicht auf ein verstecktes Motiv hin, sondern leiten sich aus den Bezeichnungen der benutzten Farben ab.

Fabian Treiber erreicht seine Überraschungsmomente während der Entstehung eines Bildes durch seine besondere Technik. Er lackiert die noch feuchte Ölfarbe auf der Leinwand. Damit setzt er sich bewusst einer gewissen Zeitnot aus. Was genau am Ende dabei passiert, vermag der junge Maler nicht genau vorherzusagen. Es können Farben verlaufen oder Risse entstehen. So entwickelt sich der Dialog zwischen Maler und Bild. Er muss damit auf Prozesse reagieren, die ihn überraschen. Es ist seine persönliche Handschrift, die so immer wieder anders entsteht.

Von SZ-Mitarbeiterin Sylvie Rauch (Veröffentlicht am 21.01.2014)

 

NEXT BIG GEM

Raumplastik, Kunst im öffentlichen Raum

 

Fabian Treiber lotet als Maler die Potenziale der Form aus. Die in Mischtechnik arrangierten, geometrisch-abstrakten Formen seiner Gemälde spielen mit der Wahrnehmung: Sie lassen so etwas wie stereometrische
Körper entstehen, die einerseits Assoziationen oder Erinnerungen auslösen, etwa an Architektur, sich bei genauerem Hinsehen aber konstruktiv auch immer wieder selbst ad absurdum führen. Farbigkeit und Oberflä-
chenbehandlung spielen mit Kontrasten und geben – dank gestischer Eingriffe – zugleich dem Zufall Raum.
Bei einem ersten Blick auf seine Installation in der Klett-Passage scheint es, als habe sie mit dem malerischen Tun des Künstlers nur wenig gemeinsam. Schon das alltägliche Material – mehrere Ketten von Wimpeln aus Spiegelfolie – ist präfabriziert und hat selbst nicht einmal eine eigenständige Farbigkeit. Bei genauerem Hinsehen aber ändert sich die Situation. Denn betrachtet man die Arbeit von ver-schiedenen Standpunkten aus, tritt die Eigenform der Wimpel und die Interaktionen der Dreiecke untereinander in den Vordergrund. Es kommt zu Verschiebungen, Dopplungen, Einrückungen, wodurch permanent neue Formen hervorgebracht werden. Das strenge, serielle Prinzip der Vervielfältigung ein und derselben Form wird hier zur Voraussetzung einer – durch die Bewegung des Betrachters – im Wandel begriffenen Variation. Und dank der Reflexionsflächen ist der Umraum mit in die Komposition einbezogen, die sich im Auge zu einer Art dreidimensionalem Bild formt.
So gesehen, lässt sich die Arbeit von Fabian Treiber für die KlettPassage also doch auch als eine Malerische begreifen. Nur dass die Prinzipien seines Tuns hier ins Räumliche übertragen sind. Auch der Zufall findet darin seinen Platz: Anstelle gestischer Eingriffe bilden hier die Spiegelungen den Gegensatz zur perfekten Form. Und auch der Plexiglaskubus selbst ist als Zufallsvorgabe eingebunden. Der in ihn eingepasste Rahmen, an dem die Wimpelschnüre befestigt sind, misst 2 x 2 Meter und hat damit exakt gleiche Seitenlängen. Der Titel der Arbeit, „Next Big Gem“ – „Nächstes großes Juwel“ oder „Glanz-stück“ –, bezieht
sich damit vielleicht nicht nur auf Material und Form der Installation, sondern – metaphorisch – auch ganz allgemein auf das Potenzial der Kunst, aus der Intuition heraus immer wieder zu überraschend präzisen Ergebnissen zu gelangen.

 

Winfried Stürzl, Stuttgart 2013

 

YOU CAN’T HIDE WHAT YOU INTEND

 

Gesetzte und sehr präzise Eingriffe verankern verschiedene Möglichkeiten und Erscheinungen. Spontane und gestische Farbfelder zelebrieren sich in ihrer Eigenwilligkeit, betten sich aber gleichzeitig widerstandslos in die Komposition ein. Je nachdem wie der Betrachter seinen Fokus einstellt, verändern sie sich von einer Selbstverständlichkeit zu frecher Lust und schrillem Vergnügen, wie auch umgekehrt.

Oft geschieht dies in klar abgesteckten, hart begrenzten Feldern. Doch immer wieder werden diese Zonen durchbrochen und verbinden sich durch den inszenierten Raum mit benachbarten Elementen oder diffundieren mit dem Nichts. Anziehungs- und Abstossungskräfte liefern sich eine ausgeglichene Machtprobe, wobei sich in einzelnen Arbeiten Gewinner und Verlierer festmachen lassen könnten, nicht aber im umfassenden Blick auf die Gesamtheit der Werke. In manchen Bildern versperren Ballungszentren oder wilde Verklumpungen die Aussicht und verkeilen sich durch ein unsichtbares Magnet hoffnungslos ineinander. Andere wiederum lösen sich in einer beinahen All-Over Komposition gegen den Hintergrund hin auf oder verharren in einer eigenartigen Transparenz mit verschiedenen Schärfegraden. Diese immer wiederkehrende Durchsichtigkeit und Diffusität begleitet den Blick durch verschiedenste Oberflächen mit unterschiedlich bearbeiteten Strukturen und Beschaffenheiten. Entlang den Linien, die bestimmte Bereiche in Zellen aufgliedern, oder unklar zwischen Räumlichkeit und Fläche zu differenzieren versuchen, entsteht ein sehr kurioser und surrealer Mix aus der zweiten und dritten Dimension. Die Wahrnehmung überschlägt sich leicht zwischen diesen beiden Ebenen und vermag auch ab und zu genau dazwischen zu vibrieren. Dadurch wird der Betrachter gezwungen, vieles was er für sich auf den ersten Blick als klar definiert festmachte, erstmals zu hinterfragen. Es wird ihm ermöglicht von alten und eingespielten Konventionen der Wahrnehmung abzulassen und durch dieses loslassen die gegebenen Bereiche der Bilder neu zu arrangieren. Die Bilder bleiben dadurch ständig in Bewegung, da sich Bereiche immer wieder neu definieren lassen. Plötzlich rücken sie vom Hinter- in den Vordergrund, formieren sich zu neuen Gebilden, mutieren, werden zusammenhangslos oder ergeben intuitiv Sinn.

 

Dave Bopp, Zürich 2012