Text: Invar-Torre Hollaus: Fabian Treiber. Common Things – Things in Common (DE/ ENG)

INVAR-TORRE HOLLAUS

Im noch jungen künstlerischen Schaffen von Fabian Treiber kommt es nach überwiegend ungegenständlich geprägten Werken 2016 zu einem entscheidenden stilistischen Wandel. Fortan folgt er einer im erweitertsten Sinne der Begrifflichkeit figurativabstrakten Malerei. Im selben Jahr beginnt er die mit Common Things betitelte Werkgruppe, der im bisherigen Schaffensverlauf eine zentrale Rolle zukommt. Mit bisher rund 50 Arbeiten bilden die Malereien der Common-Things-Serie – neben Pots und Chula Vista (beide Malerei auf Papier und beide 2017/18) – zudem die bisher umfangreichste Werkgruppe.

Fabian Treiber schafft vorwiegend Einzelbilder, die inhaltlich und malerisch miteinander korrespondieren und sich gegenseitig ergänzen und potenzieren. Die Bilder befinden sich gewissermaßen in einem wechselseitigen Dialog und fortlaufenden Prozess. Mit den Werkgruppen verhält es sich ebenso, da diese nicht als homogene Serie angelegt sind und auch als Einzelbild funktionieren, obschon ein übergeordnetes Thema für einen inhaltlichen und motivischen Zusammenhalt sorgt. Bei den Pots (Töpfe) und Chula Vista (entweder spanisch für „Schöne Aussicht“ oder die kalifornische Stadt) mag dieser Aspekt deutlicher ins Gewicht fallen als bei den Common-Things-Arbeiten. Hier folgt der Künstler keiner eindeutigen Narration, Choreografie oder Hierarchie. Jedem Bild, jedem Motiv kommt dieselbe Wertigkeit zu. Einzeln betrachtet wirken einige Werke vermutlich zunächst eher heterogen, wie aus einem anderen Kontext entfernt. Jede Arbeit wird zwar fortlaufend nummeriert, ihre Anordnung bleibt aber flexibel und kann so für jede neue Ausstellung oder Hängung wie ein Kartenspiel neu gemischt und kombiniert werden. Je umfangreicher die Auswahl der rund 50 Common-Things-Arbeiten ausfällt, umso mehr Möglichkeiten ergeben sich, mit denselben Bildern immer wieder neue narrative inhaltliche Zusammenhänge zu schaffen.

Die Common-Things-Malereien zeigen gewöhnliche, unspektakuläre, leicht zu über­sehende Dinge, die sich nicht immer eindeutig zuordnen lassen. Grundsätzlich sieht sich der Betrachter Stillleben, Interieurs und Genreszenen gegenübergestellt und damit aus kunsthistorischer Sicht mit denselben traditionellen Bildgattungen konfrontiert, die Fabian Treiber auch in seinen Einzelwerken schafft. Im Vergleich mit den Einzelwerken lässt sich feststellen, dass Bilder, die zu Werkgruppen gehören, oft geordneter und homogener im kompositorischen Bildaufbau wirken; dies gilt vor allem für die Werk­gruppe der Pots und Chula Vista. Zumindest zahlreiche der Common-Things-Malereien sind dagegen sowohl motivisch als auch malerisch wesentlich offener und ambivalenter angelegt.

Fabian Treiber verwendet für die Common Things stets ein klar artikuliertes, in der Kunstgeschichte in der Regel für Porträts gebräuchliches Hochformat: Der seit 2016 entstandene Großteil der Common Things misst 60 × 47 cm; erst kürzlich, 2018 ge­schaffene Arbeiten messen 80 × 70 cm. Im übertragenen Sinne schafft der Künstler damit sowohl Porträts alltäglicher, offensichtlich belangloser Dinge, die wir aus unserem Leben bereits (zu) kennen (glauben), als auch solche Begebenheiten, die ungewollt, ungeplant und völlig überraschend über uns hereinbrechen, deren Bedeutung und Sinn sich uns oft erst nachträglich oder eben in der Konfrontation und Auseinandersetzung mit einem (artifiziellen) Bild erschließt und als letztlich notwendiges Desiderat ein prägender Teil unseres täglichen Lebens wird.

Figürliches oder gar explizite Hinweise auf Menschliches oder Körperliches finden sich im Werk von Fabian Treiber bisher eher selten; das gilt auch für die Common Things (Körper­teile zeigen beispielsweise #12, #13 oder #21). Ein wiederkehrendes Thema sind Wand- und Bodenstrukturen, die die Bildfläche zuweilen mit regelmäßigen, wenn auch nicht mit grafisch oder perspektivisch akkurat gezogenen Liniengefügen rhythmisieren (wohl am deutlichsten bei #25, #29, #30 oder #36). Aber nur selten wird ein eindeutig erkennbares Objekt vor einem mehr oder weniger monochromen Hintergrund freigestellt wie ein Streichholz (#20), Malutensilien (#26) oder ein Ball (#32). Explizite, deskriptive Elemente sind meistens entweder durch ein flächiges Figur-Grund-Verhältnis, ein verzerrtes und artifizielles Größe-Maßstab-Verhältnis oder bewusst gesetzte malerische Eingriffe und farbliche Nuancen soweit verfremdet, dass das Dargestellte seinen ursprünglichen realistischen Bezug verliert und mit alternativen Lesarten angereichert wird. Reales, Abstraktes, Fiktives und Malerisches bilden in diesen Bildwelten eine dynamische Koexistenz, in der bekannte und vertraute Elemente an kompositorischen oder malerischen Bruchstellen und Störzonen durchschimmern.

Bei aller Vertrautheit und Sachlichkeit, die manche erkennbaren Motive und Objekte zumindest bei einem flüchtigen Blick suggerieren, sieht sich der Betrachter somit irritierenden Bildwelten gegenüber, in denen nichts zu passen scheint, aber letztlich alles stimmt. Setzt man sich mit diesen Bildern intensiver auseinander, findet sich der Betrachter – im Sportjargon gesprochen (dieser metaphorisch saloppe Vergleich sei verziehen!) – in einem Boxring wieder, in dem er visuell, intellektuell und auch emotional von den Bildern regelrecht angegangen wird. Die Malerei von Fabian Treiber fordert den Betrachter. Bloß ästhetisch schöne, stimmig arrangierte visuelle Wohlfühlzonen bietet er nicht an.

Motivisch und malerisch verharren die Bilder in einem Schwebezustand, da sich Figuratives und Abstraktes, Deskriptives und Zufälliges, vollendet und unvollendet Scheinendes in einer fragilen Balance permanent zu finden scheinen. Fabian Treiber spielt dabei die Begriffe Abstraktion und Figuration nicht gegeneinander aus. Vielmehr offen­bart sich in der Auseinandersetzung mit seiner Malerei die Unzulänglichkeit dieser Be­griffe und dem, was gemäß konventioneller Wahrnehmung als „real“ oder „ normal“ angesehen wird. Fabian Treiber geht es folglich immer auch um die malerische Infrage­stellung der beiden für unsere Wahrnehmung von Welt prägenden Pole Figuration / Gegenständlichkeit und Abstraktion / Ungegenständlichkeit, die sich aus der Ungewiss­heit – und damit der Abstraktion – der Sehdaten, die wir permanent zu verarbeiten haben, zwangsläufig ergeben. Sehen wir, was wir sehen, oder sehen wir, was wir wissen? Es gibt verschiedene Arten, die Welt zu sehen: Es gibt den humanen – rational-intellektuell wie sinnlich-empathisch geprägten – Standpunkt, dem die vielleicht irrationale, aber dinghafte Natur gegenübersteht wie auch eine mediale, abstrakt-reduzierte Wahrnehmung. Realität beziehungsweise ein besseres Verständnis der Zusammenhänge unserer Welt ist vermutlich nur über ein Bewusstsein aller dieser Ebenen vorstellbar und nachvollziehbar. Die Bilder von Fabian Treiber vereinen alle diese Arten von Wahrnehmung. Damit leistet die Kunst – sofern sie in ein kritisch-differenziertes Verhältnis zu ihrer Umgebung gesetzt wird, und sie auch aus dieser Welt entspringt und nicht nur einem ästhetischen Wohlgefallen dienen soll – eine elementare Hilfe, damit sich ein Individuum in der Welt verorten und finden kann.


 

Fabian Treiber. Common Things – Things in Common – Portraits of Everyday Desiderata

Invar-Torre Hollaus

 

In Fabian Treiber’s still new artistic oeuvre, predominantly nonrepresentational works gave way, in 2016, to a decisive change in style. From this time on, he pursued a form of figurative-abstract painting in the broadest sense of the term. In the same year he began the group of works entitled Common Things, which plays a key part in the course of his production to date. In addition, with around 50 works so far, the Common Things paintings – together with Pots and Chula Vista (both paintings on paper dated 2017/18) – represent the most extensive group of works as yet.

In the main, Fabian Treiber produces individual paintings that correspond in content and painting method, so complementing and augmenting each other. The images find themselves in reciprocal dialogue and a continuing process, so to speak. The same applies to the groups of works, since these are not laid out as homogeneous series and also function as individual paintings, although a superordinate theme does ensure their cohesion in matters of content and motifs. This aspect may weigh more heavily in the case of the Pots and Chula Vista (either Spanish for “Pleasant View” or the city in California) than for the Common Things works. Here, the artist follows no clear narration, choreography or hierarchy. Each image, each motif is granted the same value. Viewed on their own, some works may appear rather heterogeneous at first, as if removed from a different context. It is also true that the works are numbered in order; however, their arrangement remains flexible – like a pack of cards, they can be reshuffled and recom­bined for each new exhibition or hanging. The more comprehensive the selection made from the approximately 50 Common Things works, the more possibilities emerge for creating novel narratives and contexts of meaning with the same paintings.

The Common Things show ordinary, unspectacular, easily overlooked objects that cannot always be categorized with absolute clarity. In principle, the viewer comes face-to-face with still-lifes, interiors and genre scenes from an art-historical standpoint, he is confron­ted by precisely the same traditional picture genres that Fabian Treiber produces in his individual works as well. In comparison to the individual works, it is noticeable that paintings belonging to the work groups often appear more ordered and homogeneous in their compositional structure; this is true of the Pots and Chula Vista in particular. By contrast, many of the Common Things paintings are considerably more open and ambivalent in terms of motif and painting method.

Fabian Treiber always adopts a clearly articulated vertical format for the Common Things, as is customary for portraits in art history: the majority of the Common Things produced since 2016 measure 60 × 47 cm; works created only recently, in 2018, measure 80 × 70 cm. In a metaphorical sense, in this way the artist creates not only portraits of everyday, obviously insignificant things, which we already (believe) we know from our own lives, but also depicts such conditions as may befall us unwanted, unplanned and as a complete surprise. We only become aware of their significance and meaning in retrospect or indeed face-to-face and in dialogue with an (artificial) image, recognizing its shaping influence in our daily lives as an ultimately necessary desideratum.

To date, the figurative or even any explicit references to the human or corporeal can be found only rarely in Fabian Treiber’s work; this is also true of Common Things (parts of the body are shown e.g. in #12, #13 or #21). Wall and floor structures are a recurrent theme, lending rhythm to the picture surface with regular if not graphically or perspectively accurate constellations of drawn lines (probably most clearly in the case of #25, #29, #30 or #36). But a clearly recognizable object is only seldom highlighted against a more or less monochrome background, such as a match (#20), painting utensils (#26) or a ball (#32). Clearly articulated, descriptive elements are generally alienated to such an extent by means of flat figure-background relations, a distorted and artificial relationship of size or scale, or consciously placed painted interventions and this is supplemented by alternative interpretations. In these pictorial worlds the real, abstract, fictive and painterly enjoy a dynamic coexistence in which known, familiar elements are glimpsed through breaks in the composition or painting, and in areas of disturbance.

Despite all the familiarity and objectivity suggested by some of the representational, recognizable motifs and objects, at least at a fleeting glance the viewer finds himself face-to-face with irritating pictorial worlds, in which nothing seems to fit but ultimately everything is consistent. Making an intense study of these images, the viewer finds himself – to adopt sporting jargon (forgive the metaphorically rather casual comparison!) – in a boxing ring, where he is positively assaulted visually, intellectually and emotionally by the images. Fabian Treiber’s painting challenges the viewer. He never provides visual fields of well-being, which are merely aesthetically attractive and suitably arranged.

In terms of motif and painting method, the images remain in a floating state, for the apparently figurative and the abstract, the descriptive and the contingent, the complete and the incomplete seem to be held in a permanent fragile balance. Fabian Treiber does not play off the concepts of abstraction and figuration against each other here. Instead, in debate with his painting, the inadequacy of such concepts is revealed, as well as whatever is seen as “real” or “normal” in accordance with conventional perceptions. Fabian Treiber is always concerned, therefore, with a painterly questioning of the two poles that shape our perceptions of the world, figuration/representation and abstraction/ the non-representational, which inevitably arise from the uncertainty – and thus the abstraction – of the visual data that we are constantly called upon to process. Do we see what we see, or do we see what we know? There are different ways of seeing the world: there is the humane standpoint – characterized by the rational-intellectual and the sensory-empathic –, and in constrast a perhaps irrational but concrete nature, as well as a media-based, abstract-reduced perception. Reality, or rather a better understanding of the contexts of our world, is probably only conceivable and comprehensible when we are aware of all these levels. Fabian Treiber’s images combine all these types of perception. In this case, art – insofar as it refers critically and with differentiation to its environment and also originates in this same world, not simply aiming to promote an aesthetic sense of well-being – provides an elementary aid for the individual wishing to establish his own position.