Nicola Höllwarth: Von Funken und Spuren und dem was man sieht

Der Text erschien anlässlich der Ausstellung Blue Beach, Pink Love, Pale Cobra in der Strzelski Galerie.

 

Fabian Treiber

VON FUNKEN UND SPUREN UND DEM WAS MAN SIEHT

Man kann sehr wohl an diesen kleinen gelbgrünen Farbwürsten der Arbeit o.T. (Tracks) Gefallen finden: Wie sie sich – mal zart krümmend, mal dick und nass glänzend – um ihre eigene Achse drehen oder durch ein unregelmäßiges Auftragen sich zuerst prall dann schmierig auslaufend darbieten. Man kann den Drang verspüren, diese glatte, frisch anmutende Farbmasse berühren zu wollen; sie auf dem Holzstück zu verstreichen, um dem porös erscheinendem Untergrund entgegenzuwirken. Man kann dann durchaus auch diesen sich wurmhaft schlängelnden Wülsten eine gewisse Komik beimessen: sich windend auf einem rauen, nicht so recht behagenden Untergrund. Ob diese Beobachtung nun in eine Assoziationskette mündet, ist natürlich nicht vorgeschrieben. Und ebenso wenig, ob das Auge mit Freude den Kontrast des speckig glänzenden Ultramarinblau oder Gelbgrün zu der matt aufgerauten Oberfläche der Platte verfolgt oder von dieser Entdeckung unberührt bleibt. Frank Stellas „What you see is what you see“ impliziert nämlich immer auch ein „What you see is what you see only when you allow yourself to (just) see“1 und ist gerade deshalb für Fabian Treibers Arbeit Voraussetzung.

In einer weiteren unbetitelten Arbeit aus der Serie Tracks ist genau dies zu beobachten: Was man sieht kann erst dann als solches wertgeschätzt werden, wenn man sich darauf einlässt, zu sehen, was zu sehen ist.

Das unwiderstehliche Schwarz dieses gängigen Hochformats macht es natürlich schwer, an der Arbeit spurlos vorbeizugehen. Daran also hängen bleibend, erkennt der Betrachter eine aus zwei Teilen bestehende Komposition: Der untere Teil nimmt mehr als die Hälfte der Fläche ein und setzt sich mit seinen unregelmäßigen Formen, nervösen Linien und unterschiedlichen Schwarztönen gegen das eintönig matte Schwarz des oberen ab. Diese Aufteilung suggeriert dadurch eine scheinbar eindeutige, dem Auge bekannte Lesart von Vorder- und Hintergrund. Und genau dann, wenn man sich entschließt, diese Arbeit trotz oder gerade wegen oft gesehenem Bildaufbau und dementsprechenden Assoziationen weiter zu beäugen, stößt man auf eine Entdeckung, die einem zunächst banal vorkommt. Denn die knittrigen Auswölbungen des Papiers und dessen ausgefranste Ränder, aber vor allem die Abrisskante geben die alltägliche Quelle der Komposition preis: Ein handelsüblicher, nach der Bearbeitung schwarz eingefärbter Zeichenblock.

Von eben dieser Sollbruchstelle des Papiers ausgehend ist nun klar, wie sich die Reste mehrerer abgerissener Zeichenpapiere staffeln und überlagern; warum deren Ränder mal mehr und mal weniger hell sind; und dass die automatische Einteilung in Vorder- und Hintergrund von einer tatsächlichen – durch genau diese Abrisskante bedingte – Räumlichkeit herrührt.

Man könnte meinen, die Arbeit verliere durch die Nachvollziehbarkeit der Arbeitsspuren ihren Reiz. Und zu einem gewissen Grad wird sie dadurch auch enträtselt – allerdings nur in der Hinsicht, dass ihre Herstellung kein Geheimnis mehr birgt: „What you see“ ist eben „what you see“.

Aber eben doch nicht ganz im Sinne Stellas, dessen minimalistisches Credo weder Illusion noch Verweise auf Gegenständlichkeit zulässt:2 Gerade weil nämlich Fabian Treiber diese Verweise macht – und zwar offensichtlich rein zufällig, klar nachvollziehbar und ohne Trick oder doppelten Boden – wird das „what you see“ zu mehr als „what you see“. Dabei verleugnet es jedoch nicht, dass es ist, was es ist: Ein aufmerksamer, sehen wollender Betrachter erweitert hier Stellas „what you see is what you see“ um ein „and what you allow yourself to see“. Die suggerierte Gegenständlichkeit tilgt also keineswegs Stellas sachliches „what you see“: Beides koexistiert und bedingt sich zugleich.

Und genau darin liegt das Potenzial eines neuen Sehens, des neuen Reizes, einer Spur: Gibt nämlich der Arbeitsprozess keine Rätsel mehr auf, stellt sich nun die Frage, wie eine so einleuchtende, banal erscheinende Herstellung diese Fülle an Ausdrucksmöglichkeiten ergeben kann; ob das dramatische Hell-Dunkel wirklich bloß von ein paar Knicken im Papier stammt; und ob die matte Oberfläche der Papierreste lediglich durch einige sanfte Wölbungen diese seidige Anmutung erfährt. Der Reiz ergibt sich also daraus, dass wir die Antworten wohl wissen (da die augenscheinlichen Beweise vor uns liegen), ihnen aber nicht so ganz trauen wollen. Ständig versuchen wir uns zu vergewissern: „what you see“ ist wirklich „what you see“. Dass man neben dieser Hinterfragung der Formensprache und der materiellen Beschaffenheit der Oberfläche auch noch sämtliche assoziativen Vermutungen anstellt (die freilich von der gängigen Bildeinteilung und genau diesen Begebenheiten herrühren), ist zusätzlich irritierend und gleichzeitig bereichernd. Schließlich wissen wir ja, dass es ein schwarz eingefärbter Zeichenblock mit abgerissenem Papier ist, der hier zu mehr fähig scheint, als wir vermuten wollen.

Doch ausgerechnet durch diese Diskrepanz zwischen Machart und möglichem Ausdruck gewinnt die Arbeit, weil sie somit weder banales Alltagsstück, noch unentschlüsselbares Rätsel bleibt. Sie birgt zwar – gemäß ihrem Titel – Spuren von dem einem sowie dem anderen, lässt aber gerade durch deren Balance den Betrachter selbst frei zur Entscheidung, welcher Spur er nachgehen möchte oder ob er mit Hilfe dieser Spuren noch eine andere verfolgen kann.

Jedenfalls ist diese Entscheidungsfreiheit für den Betrachter der Offenheit geschuldet, mit der Fabian Treiber selbst Arbeiten herstellt. Und daran, dass man an ihr so anschaulich Teil haben darf. Denn seine Arbeitsweise, die sowohl das Spontan-Zufällige als auch das absolut Kontrollierte zulässt, kommt dem Betrachter durchaus entgegen, weil sich Ersteres nicht als Willkür und Letzteres nicht als Eigensinn entpuppt. Indem sich beides die Waage hält, kann nämlich genau das entstehen, was Max Ernst als Potenzial einer solchen Arbeitsweise herausstellt: “Die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.”3

Fabian Treiber nennt diesen „Funken Poesie“ in seiner jüngsten Serie Spuren (Tracks) und versachlicht damit den Anspruch der Surrealisten, das Unbewusste und Traumhafte für neue Erkenntnisse heraufzubeschwören.4

Dass zusätzlich die Spuren des Arbeitsprozesses, die zu diesem Funken führen, in Treibers Arbeiten immer deutlicher nachvollziehbar sind, hat natürlich auch damit zu tun, dass er seinen Betrachter noch mehr integrieren möchte. Gerade diese kleinen, spontan entstandenen Arbeiten, die teilweise das Vorgefundene einbeziehen, zeugen doch davon, dass man dem scheinbar Banalem durchaus Platz einräumen darf, um darin das, was „überspringt“, finden zu können. Mit ihrem unscheinbaren Auftreten geben die Tracks regelrecht Mut, wülstige Farbwürste auf kleinen, abgeschmirgelten Holzplatten ebenso wertzuschätzen wie den Kontrast von klebrig-glänzendem Transparentlack zu Überresten von matten, pastellfarbenen Punkten. Da sie selbst Mut haben, diese Wertschätzung bis hin zu abgerissenem, schon verwendetem Malerkrepp oder irisierenden Glitzerflächen zu treiben, bleibt der Betrachter bei Treibers eigenem Spurenlegen nicht außen vor.

Und mehr noch. Die Tracks machen ihm zudem Mut, jene Wertschätzung zu übertragen und die Assoziation mit dem Gegenständlichen zuzulassen, die von diesem einfachen „what you see is what you see“ herrühren. Auf diese Weise mündet das Gefallenfinden am scheinbar Belanglosen und vermeintlich Entzauberten in einen neuen Reiz, dem man nun auf der Spur ist.

Dementsprechend kann auch selbst die kleinste, zunächst als unwichtig abgetane Entdeckung die Verbindung zwischen dem „what you see“ und dem „and what you allow yourself to see“ herleiten: Beispielsweise nimmt die Masse aus unterschiedlichen Materialien am oberen Rand einer anderen Arbeit aus der Serie Tracks zwar nur einen sehr geringen Teil der Komposition ein, verrät aber gleichzeitig viel über deren Zustandekommen: Eine bis auf drei Kreise mit Epoxidharz eingefärbte Glasplatte liegt derart auf einem Stück Karton auf, dass die dazwischen befindlichen Farbmassen gemischt mit Resten von Aluminiumfolie, Papier und Malerkrepp herausgequetscht werden. Die Zufälligkeit der dadurch entstehenden Material- und Farbkomposition wird als logisch und nachvollziehbar empfunden und lässt mit Freude ähnliche Spuren dieser Zufälligkeit in anderen Arbeiten wieder entdecken. So findet man die teilweise raue, teilweise ölig glänzende Anmutung des Epoxidharz in der unterschiedlichen Oberflächenbehandlung der schwarzen Flecken in Capri wieder. Solche aus den Tracks gewonnenen kleinen Entdeckungen tun sich in Treibers Arbeiten auf Leinwand mit sauber-kantigen, aber eben auch zufällig entstandenen Formen mit zerklüfteten Rändern und unebenen Strukturen zusammen. In Capri kann somit ein Riss in einer grauen Form – die Spur eines schnellen Arbeitens – eine Verletzung der Oberflächenstruktur bleiben; oder aber durch das offengelegte Ocker des Risses zusammen mit dem pastosen Grau der amorphen Form sämtliche assoziative Verbindungen zum Gegenständlichen wecken. Nicht zuletzt durch den Titel.

Das Wiedererkennen der von den Tracks vorgegebenen Spuren macht uns demnach auch in großformatigen Arbeiten wie Capri mutig, in den Formkonstellationen neben ihrer formalen Darbietung auch Gegenständliches sehen zu dürfen. Treibers Spuren gleichen also nicht zuletzt auch deshalb Ernsts „Funken Poesie“, weil sich zwei „wesensfremde Realitäten“ – Stellas faktisches „what you see is what you see“ und die mögliche Andeutung des Gegenständlichen in „and what you allow yourself to see“ – so „annähern“, dass der „Funke … überspringt“: ob man darin Poesie sehen möchte oder nicht.

Nicola Höllwarth, 2014

1Vgl. hierzu Aaron Davis, „’What you see is what you see‘: Constructing the Subject-Object“, in: Art & Education, 2009, online: http://www.artandeducation.net/paper/what-you-see-is-what-you-see-constructing-the-subject-object/, abgerufen am 6. 9. 2014.

2Vgl. Ebd.

3zitiert nach Uwe M. Schneede, Die Kunst des Surrealismus: Malerei, Skulptur, Dichtung, Fotografie, Film, München 2006, S. 37.

4Vgl. Ebd., S. 44 ff.